Ansprache aus dem Gottesdienst vom 17. Mai

von Pfarrerin Sabine Happe.

Liebe Gemeinde,
es gibt Filmzitate, die es zu großer Berühmtheit gebracht haben. Sicher kennen Sie auch einige, die Ihnen da spontan einfallen. Und möglicherweise wissen Sie auch noch, zu welchem Film sie gehören. Aus welchen Filmen stammen z.B. die folgenden Zitate?

„Pfeiffer mit 3 f“ – „Da stellen wir uns erst einmal janz dumm“..(Feuerzangenbowle)
Nach Hause telefonieren…(E T)
Houston wir haben ein Problem… (Apollo 13)
Ich bin der König der Welt …(Titanic)
Möge die Macht mit dir sein …(Star wars)
Geschüttelt nicht gerührt… (James Bond)
Straßen? Wo wir hinfahren brauchen wir keine Straßen! (Zurück in die Zukunft)
Ich will genau das, was sie hatte… (Harry und Sally)
Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie was man kriegt …(Forrest Gump)
Liebe bedeutet, niemals um Verzeihung bitten zu müssen… (Love story)

Es gibt ein berühmtes Filmzitat, das in diesen Tagen des Maske-Tragens eine ganz besondere Bedeutung gewinnt. „Ich schau Dir in die Augen, Kleines“ aus Casablanca. In diesen Tagen des Maske-Tragens, wo der Großteil unseres Gesichtes bedeckt ist, bekommen unsere Augen noch mal eine viel größere Bedeutung als ohnehin schon. Die Maske erschwert unsere Kommunikation gewaltig, und nicht nur deshalb, weil das Reden dadurch leise und vernuschelt wird. Wir sehen beim anderen nicht mehr die Veränderung des Gesichtes.

Man sieht nicht mehr, wie es dem anderen geht. Man merkt nicht, ob er auf einen Witz reagiert oder indigniert ist. Man kann nicht mehr zwischen den Zeilen lesen: Das Alphabet des mimischen Ausdrucks ist verschüttet. Wir fühlen uns in unserer Kommunikation beschnitten, auf eigenartige Weise sprachlos und gehemmmt. Wie flirtet man mit Maske? Wie ist man nett? Wie ist man erkennbar als Individuum?

Wissenschaftler der Uni Glasgow fanden heraus, dass sich Menschen aus asiatischen Ländern bei anderen ausschließlich auf die Augen konzentrieren, wenn sie wissen wollen, wie die sich fühlen.
Für Menschen aus westlichen Ländern indes sei genau dafür der Mund des Gegenübers mindestens ebenso wichtig. Was bedeutet das in der Corona-Krise? Wir sehen vom anderen schließlich nurmehr die Augen. Von Punkt, Punkt, Komma, Strich bleibt nur noch Punkt, Punkt übrig. Auch unsere Werbung und die Medien setzen übrigens voll auf die Ausdruckskraft des Gesichtes. Es steht meist im Mittelpunkt, weil kein anderes Körperteil auf so kleinem Raum soviel mitteilen kann.

Die Redensart „das Gesicht verlieren“, also der Gesichtsverlust, bezeichnet denn auch etwas sehr Schlimmes: Man büßt an Glaubwürdigkeit, Ansehen und Respekt ein. Das Vermummungsverbot bei Demos gilt ja deshalb, weil man die Identität eines Menschen nicht ausmachen kann, wenn nur die Augen zu sehen sind. Deshalb kann man ja mit Maske auch unbesorgt zu schnell fahren.
Pessimistisch ausgedrückt könnte man sagen: Wir Maskenträger leiden nun alle unter Gesichts-verlust. Aber man kann es auch positiv wenden und sagen: Unsere Augen sind das neue Gesicht (so der Titel eines RP Artikels vor Tagen). Wir müssen nur vielleicht noch etwas besser lernen, sie zu lesen und ihre Botschaften zu erkennen. Blicken sie ernst oder traurig, interessiert oder müde oder lächeln sie vielleicht (wobei einem da die Lach-und Lächel-Fältchen rund um die Augen manchmal oft hilfreiche Zusatzsignale geben). Es heißt ja auch: Augen sind der Spiegel der Seele.

Wenn wir heutzutage etwas von den Gefühlen des anderen erfahren möchten, brauchen wir etwas mehr Zeit und Empathie. Wie es jemandem geht nur an den Augen zu erkennen, dauert länger, wenn uns das ganze andere Gesicht als Sprachhilfe fehlt. Wir müssen nun mehr Empathie aufwenden, um die Absichten des anderen herauszufinden. Müssen uns ihm einen Augen-blick länger widmen als wir es vielleicht sonst täten. Den anderen wahrnehmen, nicht aus den Augen verlieren, Augen-blicke verschenken, sind in diesen Tagen wichtig für unsere Kommunikation und unsere gegenseitige Wertschätzung. Jean-Paul Sartre begriff das Menschsein als „Vom-anderen-gesehen-Werden.“ Wer jemanden bewusst anschaut, ihn in den Fokus des eigenen Interesses rückt, schenkt ihm Aufmerksamkeit.

Der Ausdruck: Jemanden eines Blickes würdigen spiegelt das eigentlich schön wider. Ein Blick ist eine Würdigung, eine Wertschätzung, eine Anerkennung. Auch in der Bibel gibt es dazu wunderschöne Texte. In Jesaja 43,4 sagt Gott zu seinem Volk: „Du musst dich nicht fürchten, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe.“ Gott sieht uns wertschätzend und liebevoll an. Seine Augen nehmen uns wahr. Er begleitet uns und unser Leben mit seinem Blick. In Psalm 32,8 heißt es so schön: „Ich will dich mit meinen Augen leiten.“
Gottes Blick ruht liebevoll auf uns. Seine Augen leiten und begleiten uns. Das kann uns Mut und Zuversicht schenken in allen Lebenslagen.

Im Lied 432 „Gott gab uns Atem“, das eben anklang, heißt es ja auch: Gott gab uns Augen, dass wir uns sehen … Verschenken doch auch wir mal wieder einen Augen-blick! Und so ist das bekannte Filmzitat aus Casablanca nicht nur ein berühmtes, sondern ich finde auch eins der schönsten:
„Ich schau Dir in die Augen, Kleines“ (wobei me too und die Emanzipation einem eigentlich „Kleines“ verbieten). Vielleicht machen wir beim Zitieren einfach eine kleine Pause an der Stelle.
Ich lade Sie ein in diesen Masken-Tagen öfter mal an Casablanca zu denken und das Zitat zu beherzigen: „Ich schau Dir in die Augen………“
Amen.

Sonntag, 17. Mai 2020