Ansprache aus dem Gottesdienst vom 24. Mai

von Gerhard Gericke.

Liebe Gemeinde!
Ich vermute, jeder von uns hat den Satz schon mal zu hören bekommen: „Da musst du durch!“ Jemand hat das zu mir gesagt! Ich zu einem anderen, oder zu mir selbst: „Du, da musst du jetzt durch!“ Denn in jedem Leben gibt es Situationen, Einbrüche, noch nie da gewesene Umstände. Und die fordern: Da müssen wir einfach durch!

In einer solchen Situation sind wir zur Zeit. Das Besondere daran: es trifft alle! Weltweit! Denn das „Pan“ heißt „alle“…die ganze Menschheit. Covit 19 stellt eben überall alles auf den Kopf: Bis hinein in unseren Gottesdienst mit Kontaktsperre auf 1,50. Kein Händeschütteln! Keine Umarmung! Da reden wir in unseren Predigten so gern von „Nächsten-liebe“ und ‚Zu-wendung‘ – und jetzt müssen wir Abstand halten! Und keiner kann sagen: wie lange das noch dauern wird…..Bleibt nur eins: da müssen wir durch!

Solche umfassenden Verhängnisse hat es immer schon gegeben. Oft nur für einen Teil der Menschheit, begrenzt auf andern Ländern: Überschwemmungen, Waldbrände (Australien), in Afrika ‚Ebola‘, oder diese Heuschreckenplage, die ein ganzes Kulturland verwüstet. In Europa im Herbst 1918: die ’spanische Grippe‘, die damals in drei Wellen über die Menschheit gekommen ist. Und am Ende gab es dadurch mehr Tote als im 1.Weltkrieg(!).

Schließlich: unabhängig von Zeit und Raum kennt wohl jeder von uns ganz persönlich solche Einbrüche und verhängnisvolles Geschehen! Mein „Covit 19“ könnte man sagen. Ein Unfall, eine Krankheit, besonders diese, die wir nach einem Kriechtier benennen. Oder die Trauer um den Tod eines geliebten Menschen. Die zunehmende Demenz des Partners! Der Verlust des vertrauten Lebensraumes! Krise, Krebs und Kreuz plus Covid 19…diese vier und keiner kann sagen, was am schlimmsten ist. Dafür heißt es immer: „Da musst du durch!“ Und kein Ende in Sicht.

Denke ich darüber nach, fällt mir eine dramatische Geschichte aus der Bibel ein. Die von den verängstigten Menschen – in einer vertrackten Situation – verzweifelt fragten: wie sollen wir da nur durchkommen? Ich denke an die Stämme Israels, die soeben der Sklaverei in Ägypten entronnen sind. „Halleluja!“ „Gott sei Dank!“ / Und jetzt das: Vor ihnen das Meer und hinter ihnen das Heer! Eine regelrechte Falle! Die Stimmung schlägt um! Demonstrationen und wüste Beschimpfungen gegen den verantwortlichen Anführer Moses: „Warum hast du uns hierhergebracht? Lieber Sklave in Ägypten als tot in der Wüste!“ Wörtlich in 14,10: „Da sprang sie die Angst an und sie schrien um Hilfe!“ Das kennen wir: diese plötzliche Angst, die raus muss. Doch dann der Ausweg! Das Wunder! „Trockenen Fußes“ – wie ausdrücklich erwähnt – erreichen sie das rettende Ufer.

Diese biblischen Geschichten sind ja nicht einfach nur Historie von vor über 3000 Jahren. Sondern sie sind immer zugleich Urgeschichte. Das heißt ursprüngliche, typische Menschheitsgeschichte, bis auf den heutigen Tag. Sind die äußeren Umstände auch anders, menschliche Erfahrungen wiederholen sich. Auch uns springt zuweilen die Angst an. Und wir fragen: wie soll das noch enden? Auch wir müssen durch schwere Zeiten und ungewöhnliche Situationen hindurch. Genauso wie die damals durch das Wasser…Solche Durchquerungen im übertragenen Sinn erleben wir alle. Eine Grunderfahrung unseres Lebens. Die spiegelt sich in unserer Sprache wider in bekannten Redensarten: „Er konnte sich kaum über Wasser halten“ „Manchmal steht uns das Wasser bis zum Hals“ (oder poetisch) „Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief“.

Zurück zu den Stämmen Israels am Schilfmeer. Da lese ich in einem scheinbaren Nebengedanken – kurz vor dem Zug durch das Wasser: (siehe Zettel)Da erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Volk Israel herzog – und stellte sich hinter sie.“ Ein eindrucksvolles Bild, finde ich. Rückenstärkung durch den Engel Gottes. Dann wenn einer durch Schweres und Unbekanntes hindurch muss. Wie tröstlich, wenn mir dann einer den Rücken stärkt. Hinter mir steht … mich auffängt, wenn ich zu fallen drohe … Rück-sicht auf mich nimmt … Was für eine herrliche Erfahrung! Gott im Rücken und Menschen an meiner Seite! Ein Lichtblick bei Gefahr im Vollzug! Eindrucksvoll haben die Unterdrückten damals gesungen: „We shall overcome. We shall overcome one day! Deep in my heart, I do believe we shall overcome one day!

Ja, jetzt sind sie trockenen Fußes ans rettende Ufer gelangt. Sind noch einmal davongekommen … können aufatmen … Spürbare Erleichterungen!! Doch was jetzt? Hinterm Horizont geht’s weiter. Im Moment scheint die größte Gefahr gebannt, aber nun liegt eine endlose Wüste vor ihnen. Und damit neue Probleme: Was sollen wir trinken? Was sollen wir essen? Doch da unerwartet eine Lösung: Wachteln vom Himmel und Manna als eine Art Brot! Für jeden genau so viel wie er zum Essen braucht. Jeden Tag neu und ausreichend für alle … mehr nicht! Doch da – typisch Mensch – ein paar ganz Schlaue! Jetzt gehen wir hamstern! Besser gleich für die nächsten Tage einen Vorrat anlegen. Doch ihr Bemühen ist vergeblich. Am nächsten Tag ist das Brot voller Würmer und stinkig!

Neben den Versorgungsproblemen immer wieder die Frage: wie lange noch müssen wir dies eingeschränkte Leben noch aushalten? Eine Zumutung ist das! Und was passiert? Einige stehen auf und protestieren. Suchen einen Schuldigen! Im Text ist das so treffend beschrieben: „da murrte das Volk wider Mose!“ (15,24) Mehrfach lesen wir das – „murren“. Im Wörterbuch wird das so umschrieben: Seine Unzufriedenheit und Auflehnung mit brummender Stimme und unfreundlichen Worten zum Ausdruck bringen. Genau das erlebten wir ja in den letzten 2-3 Wochen in Stuttgart, Berlin und ein wenig auch in Düsseldorf. Das gab es also damals schon! Mag es heute einige geben, die es schwer haben, die in ihrer Existenz bedroht sind und sich Luft machen müssen. Aber die vielen Tausend, die gegen ‚die da oben‘ nur murren, ich muss sagen, ich verstehe die nicht.

Gewiss, die Pandemie wird nicht schnell vorübergehen. Es wird noch eine längere Zeit dauern – wie damals der Zug durch die Wüste. Und manches in unserm Zusammenleben auch in der Gemeinde wird demnächst nicht mehr so sein wie früher.

Aber wir verlieren nicht den Mut! Wir werfen unser Vertrauen nicht weg! Wissen uns weiterhin getragen von den Zusagen Gottes. Begleitet wie die Menschen der Wüste. – die rückblickend auf die schwierigen Zeiten – bekannt haben: „Gott, der Herr, hat dein Wandern durch die große Wüste auf sein Herz genommen!“ (5.Mose 2,7) Wir können das auch übertragen sagen: Er hat unser Wandern durch die lange Pandemie auf sein Herz genommen. In der kritischen Phase hat er uns den Rücken gestärkt, und ist bei uns gewesen. Vergessen wir das nie!

Und ich gehe jetzt – im Geiste – nach draußen vor unsere Kirche. Und lese die Worte auf der Tafel noch einmal nachdenklich und ganz bewusst: Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit! (2.Tim.1,7) Wie passend gerade an Tagen wie diesen. Kraft, Liebe und Besonnenheit! Aber die Besonnenheit ist zurzeit die größte!

Liebe Gemeinde, auch wenn wir jetzt das folgende Lied nur von der Orgel hören können – wer will, kann es wie gehabt mitsummen – möchte ich den Text passend zur Predigt dazu sprechen: (Orgel spielt 648, 1)

Wir haben Gottes Spuren festgestellt,
auf unsern Menschen Straßen,
Liebe und Wärme in der kalten Welt,
Hoffnung, die wir nicht vergaßen.
Zeichen und Wunder sahen wir geschehn
in längst vergangnen Tagen,
Gott wird auch unsre Wege gehen,
uns durch das Leben tragen.
Gott wird auch unsre Wege gehen,
uns durch das Leben tragen.

Sonntag, 24. Mai 2020