„Es ist ein köstlich Ding, geduldig zu sein …“ (Klagelieder, 3,26)

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Beuscherinnen und Besucher unserer Webseite,

ist es das wirklich?

Diesen Vers aus der Bibel empfinde ich z.Zt. eher als Anfechtung oder Ironie.
Nach einem Beinbruch sitze ich zuhause und muß mich jeden Tag in Warten und Geduld üben. Für so einen ungeduldigen Menschen wie mich, eine echte Herausforderung. Und Geduld haben und Warten bestimmt ja auch die Zeit im Kirchenjahr, die nun bald beginnt: den Advent!

Viele Menschen, vor allem auch die Kleinen unter uns, sind dann besonders herausgefordert, sich darin zu üben. Noch 24 Tage, 24 Türchen im Adventskalender, die man am liebsten alle auf einmal und sofort öffnen würde.
Aber wir wissen ja auch: Das Warten gehört nicht nur in die Adventszeit oder zur Genesung. Es begegnet uns das ganze Jahr über. Worauf warten wir nicht alles? Ist Warten vielleicht das Leben? Wer im Café oder an der Haltestelle lauscht, der weiß: Warten – das hat ein ganz schlechtes Image bei uns. Das Supermarktschlangen- Warten wird mühsam ertragen, das Telefonschleifen-Warten wird beklagt. Busse, die nur Minuten verspätet eintreffen, können unseren Blutdruck gefährlich in die Höhe treiben.

Dabei sind dies doch Luxuswartezeiten. Wir müssen nicht, wie Menschen früher oder auch heute in dramatischen Lebensumständen für Wasser oder Essen anstehen. Die meisten müssen nie auf die Bewilligung eines Asylantrags warten. Es wird nicht am Gartentor auf den Briefträger gewartet, der handgeschriebene Liebesbriefe bringt. Und gerade, weil das sehnsüchtige Warten im Jahrzehnt der sozialen Netzwerke dank des sekundenschnellen Austauschs per Twitter, WhatsApp oder Facebook so selten geworden ist, leisten sich manche nächtliche Warte-Events vor Apple-Stores.

Wir kennen das Warten auf etwas von klein auf, haben auf das Gefüttertwerden gewartet wie auf die abwesenden Eltern, auf den Schulbeginn, den Geburtstag, den Heiligen Abend. Wir haben auf die Schulglocke nach dem Chemieunterricht gewartet und in den Sommerferien darauf, dass endlich irgendwas passiert.

Das Quälende daran ist, nicht zu wissen, ob das Warten sich lohnt. Wie lange wird es dauern? Ist es sinnlos und vergeblich? Wir fühlen uns hilflos und bilden uns ein, die Wartezeit anders viel besser nutzen zu können. Alles nur vergeudete Zeit? Umfragen ergaben, dass für fast die Hälfte aller Menschen Warten Stress bedeutet.

Der Zeitforscher Karlheinz Geißler, Autor von Büchern wie „Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine“, führt an, dass sich im 20. Jhdt. unser Tempo extrem beschleunigt hat – das der Reisegeschwindigkeit, der Datenverarbeitung, der Kommunikation. Je rasanter das Tempo, desto nervenraubender das Warten.

„Und es ist ja auch so unproduktiv“, schimpfte letztens ein Nachbar. Aber haben Sie nicht vielleicht auch schon mal die Erfahrung gemacht, dass solche scheinbar unproduktiven Zeiten ein Gewinn sein können? „Bringen Sie Wartezeit mit“, sagt die Sprechstundenhilfe, wenn man kurzfristig einen Arzttermin braucht. Wer da ein Buch in die Tasche steckt, das er schon lange lesen wollte, vor das sich aber immer wieder TV und Telefon drängelten, der kann sich freuen.

Anderthalb Stunden Konzentration, die es nur hier und jetzt gibt, zwischen lauter Wartenden. Geschenkte Zeit. Genauso lassen sich Zugreisen genießen – falls man dann nicht lieber aus dem Fenster sieht und dabei feststellt, dass es schon lange her ist, das letzte stille Aus-dem-Fenster-Sehen. Hoffnungsvolles Warten, etwa auf ein Baby oder auf ein Fest, auf eine Idee oder die große Liebe – das lässt sich nicht mit Füßewippen abkürzen. Sich bereithalten, das wäre die Haltung, mit Demut und Zuversicht. Zuwarten können, so nannten es unsere Großmütter. Man müsse halt noch zuwarten, sagten sie, schälten Kartoffeln und waren verkörperte Geduld. Können wir das?

Die Zeit verstreichen lassen, ohne zu handeln? Uns schlicht vom Moment tragen und inspirieren zu lassen. Dass das Wort „warten“ vom Mittelhochdeutschen „warte“, dem „Ort der Ausschau“ her stammt, könnte uns nachdenklich stimmen. Ausschau halten kann nicht, wer dabei rumzappelt. Wer zu sehr auf Kommendes wartet, verpasst die Gegenwart. Denn das Leben ist ja kein Warten auf den nächsten, sondern Erleben des gegenwärtigen Moments.

Es gilt also, das Warten zu lernen. Das Wertvolle dieser Zeit zu entdecken. Im Advent genauso wie bei einer Genesung oder bei den hundert anderen Gelegenheiten in unserem Leben. Vielleicht erahnen wir dann auch eher, was mit dem biblischen Vers gemeint ist … „Es ist ein köstlich Ding, geduldig zu sein …“

Mit adventlichen Grüßen
Ihr Pfarrerin
Sabine Happe

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