Ansprache zu Gründonnerstag und Karfreitag

von Gerhard Gericke.

Liebe Markus-Menschen am Gründonnerstag und Karfreitag 2020!
Haben Sie so ein Kontrastprogramm wie in diesen Wochen schon mal erlebt? Unübersehbar hält rundum der Frühling Einzug! Die Sonne scheint… “Alle Knospen brechen auf, fangen an zu blühen“ … und gleichzeitig zieht diese unsichtbare Bedrohung über uns her, lässt unseren Alltag total runter fahren, einschneidend und schmerzhaft.
Was für ein Wechselbad der Gefühle!

Ich fand diese Stimmung wieder in einem Gedicht von Ricarda Huch (1864 – 1947):

Nicht alle Schmerzen sind heilbar,
denn manche schleichen sich tief ins Herz hinein.
Ja, der Frühling kommt wieder
mit Wärme und Helle,
die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
da blüht nichts mehr.

Aus unterschiedlichen Gründen erleben wir ja solche kontrastreichen Krisen und Lebenssituationen, nicht nur die augenblicklichen. Verursacht durch etwas, das – oft über Nacht – einbricht: Schicksalsschläge, Krebserkrankungen, ein Zerwürfnis in der Familie oder eben dies unsichtbar, kleine Virus. Und Beklemmungen in uns machen sich breit. Unmöglich, sie einfach wegzuwischen.

Zahlreiche Bezeichnungen für solche seelischen Einbrüche oder körperliche Leiden stammen in unserer Sprache ja aus der Passionsgeschichte Jesu: ‚jemand muss sein Kreuz tragen‘, ist kreuzunglücklich, fühlt sich kreuzelend. ‚Einer muss zu Kreuze kriechen‘, oder beklagt sein ‚durchkreuztes Leben‘, wie Hiob so eindrucksvoll!

Auch wir erfahren das. Jeder von uns hat seine persönliche Passionsgeschichte! Mal mehr – mal weniger! Dabei denke ich an die verzweifelte Mutter, die es nach der Ermordung ihrer Tochter auf den Punkt brachte: „Da haben wir Golgatha live erlebt!

Dabei sind mir verschiedene Aussprüche Jesu in seiner Leidensgeschichte besonders nah. Sie berühren mich tief. Zuerst sein Gebet im Garten! Zu Tode betrübt in der Seele… „Vater, ist’s möglich, dass dieser Kelch an mir vorübergehe?“ (Matthäus 26,39)

O ja, wie gut ich diese Bitte nachvollziehen kann! Immer dann, wenn ich ahne oder spüre, dass Schweres auf mich zukommen könnte, ein Geschick mich trifft, das alles verändert oder – aktuell – die Gefahr in der Luft liegt, mich anzustecken. „Möge dies Leid an mir vorüber gehen! Und genauso an denen, die mir nahe sind!“ Ihr Lieben, für diese persönliche Bitte brauchen wir uns nicht zu schämen. Jesus hat genauso gebetet.

Und dann, als es auf sein Ende zuging, dieser allzu menschliche Schrei aus der Tiefe: „Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46). Ich glaube wir können das nachvollziehen: dies Gefühl dann und wann von Gott und der Welt verlassen zu sein. Wie wir es zuweilen unter uns ausdrücken: ‚mutterseelenallein‘, einsam, in Kontaktsperre … isoliert … und die Frage kommt: lässt auch Gott mich jetzt allein? Ihr Lieben: für mich ist es tröstlich, dass Jesus das genauso erlebt hat und für einen Moment diese Zweifel in ihm sind und er sie auch ausspricht.

Doch dann – ein wenig später – dies andere, ach so hoffnungsvolle Gebet aus Psalm 31,6: „Vater, in deine Hände gebe ich mein Leben! Du hast mich erlöst. Ich verlasse mich nur noch auf dich„! Was für ein Vertrauen! Was für eine Hoffnung! „Man kann nicht tiefer fallen als in die Hände Gottes. Das hilft mir“, so sagte es Heinrich Albert.

Und im Rückblick auf sein Leben schrieb der Journalist und Theologe Heinz Zahrnt: „Ich möchte in meinem Glauben soweit kommen, dass ich alles Wann, Wo und Wie und damit mich selbst ganz und gar Gott überlasse. Er wird’s wohl machen … Das muss uns genügen. Das ist alles … aber das ist auch wirklich alles!

So finde ich mich mit meinen persönlichen Karfreitagen unter dem Kreuz wieder, jetzt aber voller Hoffnung! Denn jetzt gilt auch für meine augenblickliche Betroffenheit: Meine Zeit steht in deinen Händen! Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir. Du gibst Geborgenheit. Du kannst alles wenden. Gib mir ein festes Herz. Mach es fest in dir!

Und zu diesem Mutmach-Lied passen für mich solche starken Verse aus Psalm 31. Es lohnt sich, sie wieder einmal zu lesen: besonders die Verse 2-4, 6, 9, 10, 15 und 16a.

PS:
„Corona“ aus dem Lateinischen heißt: Kranz, Blumenkrone, Diadem. Corona kann aber eine weitere Bedeutung haben nämlich: ‚ein Kreis von Zuhörern‘ oder ‚eine Versammlung von Menschen‘. Ihr Lieben: möge diese Bedeutung bald wieder Möglichkeit werden, auch bei uns in der Markus-Gemeinde: in den Gottesdiensten, in den Gruppen und Kreisen, und bei diesen und jenen persönlichen Begegnungen und Besuchen, über Telefon und Mails hinaus.

Schließlich stelle ich fest, nachts in meinen Träumen kommt Corona nicht vor. Da bin ich zuweilen mit vielen Menschen zusammen, mit einigen ganz nahe … normales Leben. Hat das jemand auch so geträumt?

Schalom!

Gründonnerstag, 9. April 2020